«Wenn das Weizenkorn nicht stirbt…»

Eine Johannes-Passion von Marcel Schmid

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Karfreitag, 30. März 2018, 17.30 Uhr
Katholische Kirche St. Maria-Neudorf-St. Gallen

Dauer der Aufführung 1 Stunde 30 Minuten
Eintritt frei. Empfohlene Türkollekte Fr 20.- bis Fr 30.-

Gezeichnet von seiner Krankheit schrieb Josef Osterwalder 2012 „seine“ Johannes-Passion. In seinem Beruf als Pfarrer war er dem Leiden nahe, im Begleiten von Kranken, Sterbenden, Trauernden, Mutlosen und Verzweifelten. Auch als Journalist begegnete er dem Leiden, dem persönlichen und dem der Welt, schrieb darüber und rüttelte in Salzkörnern wach. Wer mit ihm ins Gespräch kam, sah in seinem Gesicht nicht nur das feine Lächeln, sondern manchmal auch seinen sorgenvollen Blick, der Leiden ausdrückte, auf bohrende Fragen ohne vorschnelle Antworten hinwies.

Er hat uns seinen Text der „Johannespassion“ geschenkt, in heutiger Sprache und Spiritualität, wie ein Vermächtnis. Die Frage, wie wir mit Leid und Tod – persönlich wie gesellschaftlich – umgehen, war ihm wichtig. Hat die Hoffnung über den Tod hinaus die Kraft, Leben zu gestalten?

So führt uns das Werk zur Grundfrage des Glaubens: Bedeutet der Tod das Ende? Oder lehrt uns die Passionsgeschichte, worauf der Name „Heiligkreuz“ hinweist, dass uns über das Kreuz hinaus Heil zuteil werden wird?

Text von: Charlie Wenk

Instrumentalensemble
Leo Gschwend, 1. Violine (Konzertmeister)
Regula von Toszeghi 2. Violine
Moric von Toszeghi Viola
Eva Kuhn Violoncello
Eva Segmüller Kontrabass
Max Oberholzer 1. Flöte
Barbara Hauser 2. Flöte
Christian Wenk 1. Klarinette
Richard Wenk 2. Klarinette
Mirjam Gamma Orgelpositiv

Gedanken zur Johannes-Passion von Josef Osterwalder

Die Passion, wie sie Johannes aufgeschrieben hat, nimmt uns hinein in das schreckliche Geschehen auf Golgotha. Der Text lässt uns unmittelbar das Leiden Jesu erleben, die Gewalt der Täter und die Hilflosigkeit seiner Freunde. Und doch endet die Passion nicht einfach mit dem Tod Jesu. Erzählt wird auch, wie er vom Kreuz abgenommen und ins Grabgelegt wird. Der Karfreitag führt hinüber in den Karsamstag.
Der Karsamstag selber scheint allerdings nur eine kurze Episode zu sein. Denn schon am folgenden Tag bricht Ostern an, die Botschaft von der Auferstehung. Noch sind die Tränen nicht trocken, kaum ruht Jesus im Grab, erscheinen bereits die österlichen Boten, die von der Begegnung mit dem Auferstandenen berichten.
Diese Verwandlung von Trauer in Freude geht rasch, manchen zu rasch. Denn die eigene Erfahrung lehrt uns etwas anderes: der Umgang mit Leiden und Tod braucht Zeit, oftmals lange Zeit. Nicht vergeblich spricht man von Trauerarbeit. Erst allmählich vermag ein Trauernder, eine Trauernde am Horizont einen Silberstreifen zu entdecken; wird ihm oder ihr so etwas wie die österliche Erfahrung zuteil.
Und dies gilt nicht nur für das persönliche Erleben. Die ganze Welt scheint von der Karsamstagserfahrung geprägt zu sein. Wir wissen zwar, dass die Passion vorbei, das Erlösungswerk getan ist, dass der Künder des Lebens im Grabe ruht. Doch der österliche Aufbruch scheint sich zu verzögern. Immer wieder fällt die Welt in den Karfreitag zurück.
Diese Erfahrung ist der Bibel nicht fremd. Im Johannes-Evangelium gibt es ein Bild, das genau von diesem lange dauernden Karsamstag berichtet. Jesus gibt vorausschauend eine Deutung seines Todes: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viele Frucht.
Das Weizenkorn fällt in den Boden, senkt sich ein in die Erde, muss sterben, damit es aufbrechen und neues Leben keimen kann. Die Saat, die in den Boden fällt aber benötigt Zeit, der Sämann braucht Geduld. Erst nach langem Warten bricht ein erstes, schüchternes Grün den Boden auf.
Dies ist ein anderes Bild für den Übergang von Leid in Freude. Ostern wischt nicht schon nach kurzer Zeit die Erinnerung an die Passion beiseite. Die Grabesruhe dauert lange. Der Karsamstag ist wie eine grosse, ausgedehnte Fermate. Es ist die Zeit, in der das Weizenkorn gestorben scheint, sich auflöst, ins Nichts versinkt und nur ganz langsam das Wunder eines neuen Lebens keimt.
Das legt nahe, die Passionsgeschichte für einmal aus der Sicht des Karsamstags zu erzählen. So beginnt die Johannes-Passion von Marcel Schmid mit dem Gleichnis vom Weizenkorn. Aus der Sicht der Grabesruhe schaut die Komposition auf das Karfreitags-Geschehen zurück, auf das Geschehen auf Golgotha. Doch dieser Rückblick wird immer wieder unterbrochen, eingefasst vom Gleichnis des keimenden Samens: am Kreuz bricht der Samen auf, aus dem neues Leben entstehen kann.
Der Text der vorliegenden Komposition nimmt noch einen weiteren Hinweis des Johannes-Evangeliums auf: Der Leichnam Jesu wird in ein Grab gelegt, das sich in einem Garten befindet. Und Magdalena vermag am Ostermorgen noch gar nicht, Jesus zu erkennen. Sie glaubt, dem Gärtner zu begegnen. Da wird ganz bewusst ein Zusammenhang mit dem Anfang der Bibel hergestellt. Der Garten, in welchem Jesus begraben liegt, ist eine Erinnerung an den Paradiesgarten, der einmal allen Menschen zugedacht war. Dieser Garten blieb nach dem Sündenfall für die Menschheit verschlossen. Doch nun, da das Weizenkorn im Boden keimt, beginnt auch die Hoffnung auf ein neues Paradies aufzublühen. So wie ja auch das letzte Buch der Bibel von einer neuen Erde spricht.
Paradiesgarten, keimendes Weizenkorn, Verheissung eines neuen Himmels und einer neuen Erde. In dieser Spannung leben wir. In der Johannes-Passion von Marcel Schmid wird sie erlebbar, berühren sich Leiden und Verheissung, Anfang und Ende der Bibel. Uraufgeführt an einem Karsamstag ist sie ein Bild für den Karsamstag der Welt.